Coming Out
Seit ich mir dieser Vorliebe bewusst bin, stelle ich mir regelmässig die Frage, wann ich es öffentlich machen soll. Ob ich es überhaupt öffentlich machen soll. Was passiert mit meinem Leben, wenn ich es öffentlich mache. Hin und wieder verschwindet es etwas aus meinem Bewusstsein und gerät eine Weile in Vergessenheit. Es gibt nur ganz ganz wenige Menschen, die darüber Bescheid wissen. Meine Schwester, ist ja ganz klar. Leider ist sie nicht sehr positiv eingestellt zu dieser Sache. Sie unterstützt es nicht, bekämpft es aber auch nicht, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Früher wäre ein Outing sicher etwas einfacher gewesen, da hatte ich meinen Arbeitsplatz hinten links in irgendeinem Büro und der Kontakt mit Kunden fand etwas dezenter statt. Ich war eine eher unwichtige Persönlichkeit, auf deren Meinung niemand so richtig Wert legte. Heute bin ich in der Erwachsenenbildung tätig was bedeutet, dass man eine Verantwortung trägt gegenüber den Schülern und auch eine gewisse Vorbildfunktion einnehmen muss. Ist in einer solchen Situation ein Outing dann überhaupt tragbar? Wie würden meine Schüler darauf reagieren? 🙄
Hinzu kommt natürlich auch die Frage, was so ein Outing für mich persönlich bedeutet. Fühle ich mich dann besser? Hilft es mir, meine innere Mitte zu finden, wenn die ganze Welt von dieser Neigung weiss? Oder anders herum gefragt: leide ich darunter, wenn ich es nicht mitteile? Zugegeben, manchmal wäre es schon schön, mit Gleichgesinnten darüber sprechen zu können. Erfahrungen auszutauschen mit Menschen, die so denken wie ich, können das Leben extrem bereichern. Natürlich bin ich nicht die einzige, die so denkt und fühlt. Ich weiss, es gibt tausende, ja hunderttausende Menschen da draussen, die sind wie ich. Die Mehrheit steht sicher dazu, doch es gibt auch ein paar, die bis heute nicht den Mut gefunden haben, Farbe zu bekennen.
Warum kommt denn ausgerechnet jetzt der Wunsch auf, mich zu outen? Seit einer Weile werde ich mindestens dreimal die Woche daran erinnert. Im Fernsehen. Und jedesmal, wenn ich es sehe denke ich, wie befreiend es sein muss, davon schwärmen zu können, anderen zu erzählen, wie glücklich man damit ist. Ich werde jetzt einmal tief durchatmen und es öffentlich machen: ich bin.… NEIN, nicht was ihr jetzt denkt.… tztztztzt.… also nochmals von vorne: ich bin… ein bekennender Kelly Family Fan! So, jetzt ist es raus. Puh.… das war ja gar nicht so schwer. 😆
Seit den 90er Jahren bin ich fasziniert von der Lebensgeschichte dieser aussergewöhnlichen Familie, von diesen vielen, einzigartigen Persönlichkeiten. Ihre facettenreiche Musik mit den tiefgründenden Texten begleitet mich schon ein paar Jahrzehnte und half mir durch einige Lebenskrisen. Sie schrieben alle Songs selber und ich habe grossen Respekt davor, dass man als 11jähriger Teenager einen Welthit schreiben kann. Als mein Exmann und ich bei unserer Scheidung unser Hab und Gut aufgeteilt haben, krallte ich mir alle Kelly Family CD’s und hätte ihm die Augen ausgekratzt, hätte er auch nur eine davon haben wollen… 😈 Sogar als es ruhig wurde um die Gruppe und jeder seinen eigenen Weg ging, trugen mich ihre Songs immer wieder durch harte Zeiten. Umsomehr freute mich ihr Comeback und dass Michael Patrick Kelly nun als Coach bei The Voice of Germany sitzt, ist für mich Grund genug, mir diese Format anzuschauen.
So, nun wissen alle Bescheid. Nur bezweifle ich ganz stark, dass dieses Bekenntnis irgend einen Einfluss auf mich oder mein Leben haben wird. Und es ist auch nicht wichtig, ob ich nun zu einer Mehrheit oder einer Minderheit gehöre. Die Kernaussage dieses Beitrages ist eine ganz andere: wenn euch etwas wichtig ist, so steht dafür ein. Niemand muss sich verstecken, weil er anders denkend ist. Und niemand, ich betone NIEMAND hat das Recht, über andere zu urteilen, nur weil er nicht derselben Ansicht ist. Auch ich erwische mich immer mal wieder dabei, wie ich mir eine Meinung über jemanden bilde anstatt zu versuchen, zu verstehen. Noch schlimmer ist es, jemandem seine eigene Meinung aufzwingen zu wollen und so Einfluss auf sein Leben zu nehmen. Natürlich hat jedes Verhalten eine Konsequenz, die es zu tragen gilt. Doch sich zu verstecken, wird auf Dauer tiefe Narben hinterlassen. Jeder soll sein Leben so leben, wie es für ihn stimmt. Es gibt viele Situationen, die wir nicht beeinflussen können. ABER… wir können bei jeder Situation selber entscheiden, wie wir damit umgehen. Wir müssen nicht alles akzeptieren. Nicht jeder findet in seinem Tun oder Denken meine Zustimmung und dann liegt die Entscheidung bei MIR, ob ich dabei bin oder ob ich mich distanziere. So einfach ist es.
In diesem Sinne: Leben und leben lassen 🙂